Medienkompetenz-Expertin zum Fall Ayleen: Wie gefährlich sind Online-Games?

Ende Juli wurde die vermisste 14-jährige Ayleen aus Baden-Württemberg tot aufgefunden. Der mutmaßliche Täter ist ein wegen Sexualdelikten vorbestrafter 29-Jähriger, der mit Ayleen über das Internet Kontakt aufgenommen hat. Dieser bestand nicht nur über soziale Netzwerke, sondern auch über das beliebte Battle-Royale Fortnite. Das wirft die Frage auf, welche Gefahren von Videospielen im Internet ausgehen.

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Deshalb sprach die Medienpädagogin und Ratgeberin bei der Medienerziehungsinitiative SCHAU HIN! Dr. Iren Schulz mit uns über die potenziellen Gefahren von Online-Games, Handlungsmöglichkeiten und Verpflichtungen von Erziehenden, Spieleentwicklern und Schulen.





In-Game-Chats: Eine unterschätzte Gefahr?

Laut Frau Dr. Schulz würde es in der Diskussion um die Gefahren von Videospielen in erster Linie immer nur um ein Thema gehen: “Historischerweise haben alle immer Sorgen um Gewalt. […] Darum drehen sich meistens immer alle Fragen in Deutschland.”

Es sei zwar immer noch eine wichtige Frage, für welche Altersgruppen gewalttätige Inhalte geeignet seien, aber in den letzten Jahren seien noch einige weitere Herausforderungen dazugekommen. Wie zum Beispiel In-App-Käufe.





Ein ganz wichtiges Thema, dem noch zu wenig Beachtung geschenkt werden würde, seien aber die Interaktionsrisiken von In-Game-Chats:

“Wer kann Kinder online alles mit welchen Absichten ansprechen und wie ungeschützt sind Kinder eigentlich in solchen Chats? Das ist wirklich, was wichtig ist.”

 

Es gebe in Deutschland keine moderierten Chats und jeder könne mit jedem Kontakt aufnehmen. Schon Grundschüler seien in Online-Spielen unterwegs und gerade für die Jüngeren sei es schwer, böse Absichten zu erkennen.

Was tun, wenn Grenzen überschritten werden?

Eltern und Erzieher müssten die Kinder dabei unterstützen und die “Handlungskompetenz der Kinder selbst” stärken. Denn oft sei das Bauchgefühl von Heranwachsenden schon durch Aufklärung in der realen Welt vorhanden, da den Kindern schon früh beigebracht wird, nicht bei Fremden mitzugehen. Das müsse eben noch auf die Online-Welt ausgeweitet werden.

Alarmglocken sollten schellen, wenn jemand immer wieder nach privateren Chaträumen und Information wie Wohnort und Telefonnummern fragt, Bilder oder Videos bekommen möchte oder diese selbst ungefragt versendet.

Die Kommunikationsverbindung sollte dann gekappt und das Profil aus der Freundesliste entfernt werden. Sollten private Informationen schon weitergegeben worden sein, wie zum Beispiel die Schule, sollte man in dem Umfeld etwas achtsamer sein.

Auch Beweise sollten in Form von Screenshots gesammelt werden, da Chatverlaufe in vielen Spielen nicht langfristig gespeichert werden. Es gibt seitens der Spielepublisher auch Möglichkeiten, Accounts mit unangebrachtem Verhalten zu sperren und einzugrenzen.

Die Handlungsbreite sei groß. Man könne Kinder notfalls komplett von dem Spiel fernhalten oder sogar eine Strafanzeige aufgeben. Auch könne durchaus die Polizei informiert werden.

Trotzdem sollte nicht übertrieben werden:

“Ich finde, das ist immer eine Gradwanderung und ein Balanceakt, den Kindern keine Weltangst einzureden. Auf der anderen Seite sollen die auch mal alleine unterwegs sein, online wie in der Realität. Und Dinge entdecken und neue Menschen kennenlernen. Das aber mit einem wachsamen Auge.”

Videospiele nicht unter Generalverdacht stellen

Der Mordfall Ayleen, bei dem die 14-Jährige mit dem Täter auch über Fortnite kommuniziert hat, löste bei vielen Eltern Sorgen über die Gefahren von Online-Games aus. Laut Frau Dr. Schulz sei Fortnite aber nur ein Baustein, denn der Täter habe über verschiedene Wege den Kontakt aufgebaut: “Ich finde wichtig, da keinen Kausalzusammenhang zu ziehen.” Eltern sollten jetzt nicht sagen: “Siehst du, die hat Fortnite gespielt und deshalb ist ihr das passiert.”

Oft würden in Deutschland bei solchen Extremfällen Videospiele als Hauptgrund genannt werden, vor allem bei Amokläufen. So einfach sei das aber nicht. “Das, was in der Online-Welt schiefgeht, kann man genauso wenig zu hundert Prozent verhindern wie das, was in der Realität schiefgeht.”

Eltern müssten in der Erziehung in Kauf nehmen, dass sie nicht immer alles von ihren Kindern erfahren würden: “Das gehört auch ein Stück weit zum Abgrenzen und Erwachsenwerden dazu.”

Denn eigentlich sind die Interaktionsmöglichkeiten etwas Positives:

“Dass Kinder sich online vernetzen oder zusammen spielen, ist eigentlich erstmal was Tolles. Man kann sagen, zum Glück gibt es die Möglichkeit. Und man kann mit diesem Klischee von einem einsamen Spieler, der in seinem Keller versauert, aufräumen. Es ist ja hochgradig sozial.”

Wichtig sei es immer zu sagen, dass die ganz schlimmen Fälle große Ausnahmen sind.

Die neuesten Skins als Tausch gegen Bilder

Die Mechanismen von Tätern in sozialen Netzwerken und Online-Games seien ähnlich, allerdings unterscheide sich die Zielgruppe etwas: “In den Spielen sind das vielleicht eher die Jungs, die da angesprochen werden. Und es geht eher in solche Mechanismen wie ‘Wenn du Fotos von dir schickst, dann kann ich dir helfen, diesen tollen Skin zu kaufen.’ Solche Geschenkgeschichten.” In den sozialen Netzwerken ginge es eher um Körperbilder und soziale Anerkennung.

Die Taktiken der Täter seien aber immer gleich:

“Die versuchen immer, den Punkt bei den Heranwachsenden zu finden, wo es gerade brennt.”

Das könne Streit mit den Eltern, Umzüge oder schlechtes Verhalten von Freunden sein. Dort würden die Täter versuchen, Verständnis zu zeigen, Hilfe anzubieten und dadurch Vertrauen aufzubauen.

Moderierte In-Game-Chats und Gamingscheine in der Schule

Die Aufklärung durch die Erziehungsberechtigen alleine würde aber nicht reichen. Familien würden so viele Verpflichtungen haben, dass es zu viel verlangt sei, dass sie sich in Online-Spielen auch noch auskennen: “Familien können das alleine gar nicht mehr stemmen. Medienwelten sind so komplex geworden.”

Daher wäre eine Unterstützung der Spieleentwickler selbst wünschenswert. Sie sollten darauf achten, dass ihre Spiele auch den Altersvorgaben entsprechen.

Oft seien soziale Netzwerke und Spiele zwar erst ab einem bestimmten Alter freigegeben, würden aber auch schon vom Aufbau her für Jüngere interessant sein:

“Wenn man Angebote schafft, die besonders interessant und reizvoll für eine junge Zielgruppe sind, müssten die Rahmenbedingungen auch so geschaffen sein, dass sich die Kinder da online gut bewegen können. […] Das sehe ich ehrlich gesagt noch nicht so ganz.”

Eine Möglichkeit dazu wären moderierte Chats. Aber nicht nur die Spieleentwickler sind in der Pflicht, auch die Bildungseinrichtungen müssten ihre Aufklärung auf den Online-Bereich ausweiten: “So wie es seit Ewigkeiten eine Verkehrserziehung gibt […] müsste es eigentlich einen Surf- oder einen Gamingschein geben, wo in allen Bundesländern verbindlich dieses Thema mal vermittelt wird.”

Wir bedanken uns bei Frau Dr. Iren Schulz für dieses Interview.


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Bildquelle: Pexels (Erik Mclean) | Epic Games | Iren Schulz/Delf Zeh (Bildmontage)
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