Kolumne: Mach’s gut Blizzard, war schön mit dir

Mit seiner Reaktion auf die Hongkong-Kontroverse hat Blizzard sich einen massiven Shitstorm und Boykott-Aufrufe eingehandelt. Es geht nicht nur um freie Meinungsäußerung: Die Gamer kämpfen nicht nur für Demokratie, sondern um die Seele ihres einstigen Lieblingsentwicklers

Im Blizzard Hauptquartier im kalifornischen Irvine wird man momentan viel über Barbra Streisand nachdenken. Nicht, weil man sich dort so gerne an die sanft säuselnde Stimme der Sängerin zurückerinnert, sondern weil der Streisand-Effekt nach ihr benannt ist: Der Versuch, unangenehme Informationen zu unterdrücken, geht nach hinten los und sorgt dafür, dass die Aufmerksamkeit noch viel größer wird.

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Genau diesen Effekt hat Blizzard gerade eindrucksvoll losgetreten: Hearthstone-Profi Chung “Blitzchung” Ng Wai erschien nach seinem Sieg bei den Asia Pacific Hearthstone Grandmasters mit Skibrille und Gasmaske (beides Symbole des Protests in Hongkong) zu seinem Post-Match-Interview. Seine Unterstützung für die Proteste gegen China unterstrich er mit den Worten: “Befreit Hongkong, die Revolution unserer Zeit!”

Blizzard wollte es sich mit China als riesigem Markt nicht versauen und negative PR vermeiden. Also strichen sie Blitzchung das Preisgeld, sperrten ihn für zwölf Monate, feuerten die Caster und löschten das Video. Man sollte meinen, es sei physisch unmöglich, beim Versuch, sich ins eigene Bein zu schießen, auch noch ordentlich Anlauf zu nehmen. Aber zumindest sprichwörtlich hat Blizzard das mit Bravour gemeistert.

Die Fans haben den Spieß umgedreht

Denn das Resultat ihres Handelns ist ein Shitstorm mit epischen Ausmaßen. Innerhalb weniger Stunden kannten die Gaming-Sektionen von Twitter und Reddit kein anderes Thema mehr. Neue Blizzard-Logos im Design der China-Flagge wurden erstellt. Fans von Blizzards Shooter Overwatch verwandelten den Charakter Mei, der im Spiel chinesische Herkunft hat, kurzerhand in ein Symbol der Proteste in Hongkong.

Auf den sozialen Medien wurde unter dem Hashtag „BoycottBlizzard“ sogar massenweise zum Boykott aufgerufen. Viele User kündigten an, ihre Accounts zu löschen oder sie hatten es bereits getan.

Die goldenen Zeiten

Dabei war Blizzard einst der König der Gaming-Welt. Die Entwickler und ihre Spiele galten fast schon als unfehlbar. Fans und Presse lagen ihnen zu Füßen. Die resultierende Fangemeinde ist so groß, dass sie mit der Blizzcon sogar eine eigene Messe mit bis zu 40.000 jährlichen Besuchern veranstalten.

Das Rezept für den Erfolg und die resultierende Liebe der Fans war eindeutig: „Wir wollten einfach nur großartige Spiele machen, mehr nicht“, erklärte der Mitgründer und damalige CEO Mike Morhaine 2011 in einem Interview.

Und das gelang ihnen. In gleich mehreren Genres waren sie der unbestrittene Primus: Diablo galt als das beste Action-RPG, Starcraft und Warcraft dominierten das RTS-Genre und WoW ist der Inbegriff des MMORPGs. Die Liebe war berechtigt, das Vertrauen verdient.

Geld regiert die Welt

Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Die einstige Maxime, möglichst gute Spiele zu entwickeln, ist einer neuen gewichen: möglichst viel Umsatz, möglichst viel Gewinn, möglichst viel Shareholder Value. Geld. Cash. Money. Dinero.

China ist eben ein riesiger Wachstumsmarkt für das Unternehmen und Blizzard will sich, wie jedes andere Unternehmen auch, den zukünftigen Umsatz nicht vermiesen. Das ist jedem klar. Aber Blizzard ist eben nicht jedes andere Unternehmen. Die Fans verbinden mit den Blizzard-Spielen Erinnerungen, die ihr Leben auf authentische Weise berührt und beeinflusst haben.

Das rückgratlose Verhalten im Fall Blitzchung ist für die Fans lediglich die letzte Entwicklungsstufe hin zum seelenlosen Konzernmonster. Denn seine Seele hat Blizzard schon vor mehr als zehn Jahren verkauft. 2008 fusionierten die Kalifornier mit dem Publisher Activision und wurden schlagartig zu einem der größten Gaming-Konzerne der Welt.

Nichts bleibt für die Ewigkeit

Seitdem steht Activision Blizzard, wie der Konzern jetzt heißt, ständig in der Kritik: Schon der Release von Diablo 3 zog 2012 einen riesigen Shitstorm nach sich. Hearthstone-Spieler prangern schon seit Jahren den gierigen Pay2Win-Faktor des Spiels an. Und auf der letzten Blizzcon wurden die Entwickler von enttäuschten Fans ausgebuht, als sie ankündigten, dass der nächste Diablo-Titel ein Mobile Game wird. Ein Fan fragte den Entwickler vor der versammelten Fangemeinde, ob es sich um einen schlechten Aprilscherz handele.

Im Februar 2019 stand das Unternehmen dann wegen Massenentlassungen am Pranger, die (wie könnte es auch anders sein) trotz eines Rekordgewinns von fast zwei Milliarden Dollar angeordnet wurden.

Flüchten in Erinnerungen

Es ist kein Zufall, dass die aktuellen Spiele des Konzerns, die von der Community noch gefeiert werden, Relaunches sind: WoW Classic und Warcraft Reforged sind für die Fans Zeitkapseln, mit denen sie in Erinnerungen schwelgen können. Erinnerungen an die Zeit, in der Blizzard mit ihren Spielen Freude in ihr Leben brachte und in denen sie sich nicht als reine Geldsäcke behandelt sahen.

Viele der Figuren, die Blizzard über die Jahre hinweg prägten, wie Warcraft-Erfinder Mike Metzen, CEO Mike Morhaine sowie Mit-Gründer und Entwicklungschef Frank Pearce haben die Firma mittlerweile verlassen. Vielleicht ist es also auch für uns Zeit, endlich den Absprung zu schaffen und zu sagen: „Mach’s gut Blizzard, war schön mit dir.“ Denn das Blizzard, das wir lieben, scheint nun endgültig tot zu sein.

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