Vom “Monopol” zum sinkenden Schiff – Geht Twitch langsam unter?

Gerade brodelt es in der Community rund um Twitch: Sowohl Zuschauer als auch Streamer fürchten den baldigen Untergang der Plattform. Nach dem millionenschweren Kick-Deal von xQc und dem Wechsel von Amouranth, denken einige, dass es jetzt immer weiter bergab geht.

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Doch wie kam es überhaupt dazu, dass Twitch jetzt so übel einstecken muss?


Video: Twitch-Nachhilfe – Das sind Deutschlands wichtigste Streamer




Das “Monopol” der Livestream-Dienste

2007 dachte sich ein Mann, Anfang 20, dass er sein Leben doch rund um die Uhr als Livestream präsentieren könnte. Dieser Mann heißt Justin Kan und zusammen mit seinen Freunden Emmett Shear, Michael Seibel und Kyle Vogt rief er für diese Streams die Website Justin.tv ins Leben.

Nach etwa 8 Monaten stoppte er die Übertragung und stellte die Seite für andere Nutzer und ihre Streams bereit – der Anfang von Twitch.

 

Gaming-Streams wurden nämlich 2011 auf der heutigen bekannten Homepage Twitch.tv ausgelagert. Schnell gewann die damalig neue Seite an Popularität und verzeichnete 2013 schon mehr als 45 Millionen monatliche Zuschauer.

Zwar haben Streaming-Dienste wie Hitbox oder Mixer (Microsoft) versucht ähnliche Höhen zu erreichen, sind jedoch tief gefallen und mussten schlussendlich schließen. Keiner konnte sich gegen Twitch durchsetzen – es galt quasi als Monopol in der Livestream-Welt.

2014 wurde Justin.tv eingestellt und die Gründer fokussierten sich komplett auf ihre damals ausgelagerte Plattform. Twitch wurde im selben Jahr für 970 Millionen US-Dollar von Amazon gekauft.

Es schien gut für die Seite zu laufen, doch in den kommenden Jahren sollte die Kritik lauter werden.

Twitch gerät immer mehr ins Schussfeuer

Es gab immer wieder Geschehnisse, die für Aufruhr sorgten, für die die Website im Prinzip aber nichts konnte. So wurden schon ein Suizid und der Anschlag in Halle (an der Saale) auf Twitch übertragen.

Zudem hatten sie immer wieder mit Copyright-Problemen zu kämpfen, was die Nutzer damals ebenfalls häufiger kritisierten.

Als vermehrt Casino- und Hot-Tub-Streams auf Twitch auftauchten, stempelten viele die Plattform als unseriös ab und meinten damals bereits, dass alles den Bach heruntergehen würde.

Dennoch haben beide Kategorien einen Hype bei massenweise anderen Zuschauern ausgelöst und sind seit einigen Jahren fester Bestandteil auf der Seite. Knossi, der damals öfter live im Casino unterwegs war, hat sogar Songs dazu veröffentlicht, die in den deutschen Singlecharts gelandet sind.

Doch während all das irgendwie noch toleriert wurde, gab es 2020 den ersten lauteren Aufschrei gegenüber Twitch.

Die Sache mit der Werbung

Die Plattform kündigte damals an, während der Streams Werbung schalten zu wollen. Dadurch wird die Übertragung unterbrochen, stummgeschaltet und teilweise nur noch klein in einer Ecke eingeblendet.

Die Community empfand das als absolut störend und äußerte starke Bedenken: Man könne tolle Momente verpassen oder mitten in einem Bosskampf schalle dem Zuschauer plötzlich Werbung entgegen.

Dennoch wurde die Änderung durchgesetzt und bis heute werden regelmäßig Werbeclips mitten im Stream geschaltet.

Bezüglich der Werbung wurden im Laufe der Jahre noch weitere Anpassungen vorgenommen. So können die Content-Creator innerhalb eines Plans nun ungefähr selbst festlegen, wann und wie oft sie Reklame schalten möchten. Wenn sie das nicht tun, spielt Twitch automatisch Werbung im Laufe des Streams ab.

Der Verdienst aus der Werbung soll angeblich zudem das abdecken, was die neuen Einnahmeregelungen ihren Streamern verwehrt – womit wir beim nächsten bedeutenden Eklat ankommen: der neue Sub-Split.

Gehaltskürzungen für die ganz Großen

Im September 2022 wurde vom neuen Twitch-Chef, Daniel Clancy, ein offener Brief an die Community gepostet, in dem es hieß, dass ab Juni 2023 neue Regeln in Kraft treten.

Demnach bekommen Streamer ab Einnahmen von 100.000 US-Dollar nur noch 50 % davon und nicht mehr 70 %. Weiterhin sollte es keine Verträge mehr geben, in denen ein Share von 70/30 festgehalten ist.

Begründet wurde das durch Intransparenz solcher Verträge und den Kosten, die Twitch tragen müsse. Sie wollten Gleichheit schaffen.

Diese Ankündigung sorgte für Furore bei den Streamern und in der Community. Viele beschuldigten die Plattform, sich das Geld schlichtweg in die Tasche stecken zu wollen und dafür nichts zu bieten.

Aber als wäre das noch nicht genug gewesen, schossTwitch Anfang Juni 2023 wohl komplett den Vogel ab.

Ein riesiger Shitstorm für den Livestream-Dienst

Am 6. Juni 2023 kündigte die Streaming-Seite an, dass sie neue Werberichtlinien verabschieden wolle. Darin hieß es unter anderem, dass Content-Creator keine Werbebanner- und Clips, nur winzige Logos und keine Musikeinblendungen mehr zeigen dürfen.

Viele Esport-Events, Charity-Veranstaltungen und andere Projekte hätten so nicht mehr umgesetzt werden können, da sie von Werbepartnern und ähnlichem finanziert werden. Oft spielen dort einzelne Werbeclips und ständig werden große Logos und Banner eingeblendet.

Diese Werberichtlinien gerieten so sehr unter Beschuss, dass Twitch nach nur einem Tag einen Rückzieher gemacht hat. Die Regeln sollen so nicht mehr umgesetzt werden, da sie Streamern und der Plattform schaden, erklärten sie auf Twitter.

Zahlreiche Leute hat diese Aktion allerdings zum Nachdenken gebracht und sie überlegen, ob die Website noch das Richtige für sie ist. Manche sind sogar schon zu YouTube gewechselt.

Diesen Aufruhr machen sich jetzt einige andere Livestream-Dienste zunutze – allen voran Kick.com.

Der Aufstieg von Kick?

Der Konkurrent macht keine halben Sachen und grast derzeit jegliche Streamer ab, die auf beliebige Art und Weise Reichweite mit sich bringen.

In ihren Verträgen steht laut Staiy angeblich sogar, dass die Content-Creator gerne ihren Livestream auf Twitch starten können und danach zu Kick hinüberwechseln, um so die Zuschauer auf ihre Plattform zu bringen.

Sie locken zudem mit millionenschweren Angeboten und betonen immer wieder, wie viel die Streamer auf ihrer Seite verdienen können, da sie eine Einnahmebeteiligung von 95/5 bieten.

Auf die Weise konnten sie schon die großen Streamer Amouranth und xQc für sich gewinnen. Letzterer bekommt sogar 100 Millionen US-Dollar für einen nicht exklusiven Vertrag.

Aber auch die deutschen Influencer Standart Skill und iCrymax gehen schon auf Kick live. Doch laut Twitch-Streamerin Reved soll das noch lange nicht das Ende sein. In drei bis sechs Monaten soll „die Welt schon ganz anders aussehen“ und die Community werde geschockt sein, wer da alles Verträge unterzeichne, sagt sie.

Während Größen wie Asmongold, MoistCr1TiKaL, Mizkif und andere Streamer behaupten, dass Twitch allmählich untergeht, denken andere, dass das nur eine Phase ist. Kick werde ein ähnliches Schicksal wie Mixer ereilen.

Nicht alle glauben an den Erfolg von Kick

Die Kritiker bringen natürlich allen voran an, dass Glücksspiel und die beworbenen Casinos auf der Livestream-Seite ein viel zu negatives Image mit sich bringen. Zudem seien die Repräsentanten und Mitinhaber ebenfalls kein positives Aushängeschild – besonders AdinRoss.

Er ist ein Streamer, der von Twitch mehrere Male gebannt wurde, weil er transphobe Äußerungen tätigte und seinen Chat meist unmoderiert lässt. Damit ließ er massenweise rassistische und gewalttätige Aussagen zu. Auch er selbst nutzt hin und wieder mal das N-Wort.

Weiterhin bezweifeln einige, dass die Plattform auf lange Sicht Gewinne erzielen kann. Mit dem Share von 95/5 und den Millionenbeträgen für die Streamer, halten manche es nur für eine Frage der Zeit, bis die Seite schließen muss.

Während all den Geschehnissen, hat Twitch jetzt laut einigen in der Community einen kleinen Schritt in die richtige Richtung getätigt – aber ist das wirklich so?

Twitch bringt den 70/30-Split zurück?

Keine zwei Wochen sind seit dem Fauxpas vom 6. Juni vergangen, da hat das Amazon-Unternehmen angekündigt, dass sie die Einnahmebeteiligung von 70/30 im Rahmen des Partner-Plus-Programms zurückbringen möchten.

Das sollte jedoch nur unter bestimmten Bedingungen passieren: Der Streamer muss ein Twitch-Partner sein und in drei aufeinanderfolgenden Monaten 350 bezahlte Abonnenten besitzen. Prime- und geschenkte Subs zählen dort nicht mit hinein.

Außerdem gilt ab Netto-Einnahmen von 100.000 US-Dollar wieder nur noch der 50/50-Share. An sich klingt das erst mal positiv, aber diese Voraussetzungen erfüllen tatsächlich nur wenige Content-Creator.

Etwas mehr als 1.000 Streamer von über 42.000 Partner sollen das nach einer neuen Hochrechnung von StreamCharts.com wohl sein.

Demnach haben nur größere Streamer wieder einmal die Chance darauf, mehr Umsatz zu generieren. Auf YouTube, Kick und anderen Seiten sei das beim Partner-Status weitverbreitet.

Es fielen dennoch leise, vorsichtig lobende Worte seitens Staiy und anderen Influencern.

Was sagen die Zahlen zum “Untergang” auf Twitch?

Wenn man sich die Zuschauerstunden, -zahlen, Streams und aktive Kanäle von Juni 2016 bis Juni 2023 anschaut, ist beinahe überall ein Wachstum bis 2021 zu sehen.

Zwar knicken die Zahlen danach etwas ein, aber das ist kein Wunder, denn immerhin hat Corona von Ende 2019 bis Mitte 2022 die Welt fest im Griff gehabt – danach wollten die Leute mal wieder ihre Wohnungen verlassen.

Angesehene Stunden, Zuschauerzahlen, Streams und Kanäle | Quelle: SullyGnome

Zudem ist der Juni 2023 noch nicht vorüber. Wenn die Zahlen zu Ende Juni 2023 ungefähr gleich bleiben und wir sie aufrechnen, dürften es knapp 1,8 Milliarden Zuschauerstunden sein. Auch die durchschnittlichen Viewer sind in etwa genau so viele wie 2022.

Was jedoch auffällt: Es finden deutlich weniger Streams statt. Bei gleichbleibenden Zahlen sind es etwa 17.400.000, also rund 5.400.000 weniger. Ob das nun dem heißen Sommer, Corona-Ende oder wirklich dem Kritikfeuerwerk geschuldet ist, ist nun die Frage.

Die Zahlen belegen bisher auf jeden Fall nicht unbedingt, dass Twitch “stirbt”. Allerdings müsste man dies über die kommenden Monate beobachten und die Konkurrenten dabei im Auge behalten.

Ob Kick sich wirklich mit seinen Deals und dem Angeln von großen Streamern durchsetzen kann, wird nur die Zukunft zeigen.


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Quellen: Twitch, Kick, pixabay.com

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