Über Nacht vor dem Nichts: Ein Leben nach Heroes of the Storm

Hunderte Profis verloren über Nacht ihren Job: Im Dezember stellte Blizzard überraschend die eSport-Liga zu Heroes of the Storm, die HGC, ein. Wir haben mit einigen Spielern über ihr unfreiwilliges Karriereende und die Unsicherheit danach gesprochen.

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Am Abend des 13. Dezembers sitzt Thomas Cailleux vor seinem Computer und spielt wie gewohnt Heroes of the Storm. Hunderte Fans schauen ihm an diesem Donnerstagabend bei seinen Partien zu, die er live im Internet überträgt. Der 26-Jährige ist professioneller eSportler. Seine Disziplin: Heroes of the Storm. Seit mehr als vier Jahren verdient er seinen Lebensunterhalt mit Videospielen.

“Ich hatte gehofft, dass es nur ein Albtraum war und nicht real”

Auch an diesem Abend widmet sich Cailleux dem MOBA-Spiel. Locker unterhält er sich mit seinen Zuschauern und macht Witze, als plötzlich die ersten Nachrichten im Chat auftauchen. “Leute haben auf einmal angefangen den Twitterpost zu verlinken”, erinnert sich “Ménè“, so der Name, unter dem er im Internet bekannt ist. Die Überschrift des Artikels lautet “Heroes of the Storm News”, doch dahinter versteckt sich keine freudige Nachricht, sondern eine Hiobsbotschaft für die gesamte Community.

“Die Heroes Global Championship wird 2019 nicht zurückkehren”, muss Cailleux mit Entsetzen feststellen. Schnell wird ihm klar: Er ist arbeitslos – und steht vor dem Nichts. “Ich war am Boden zerstört. Ich wollte einfach nur aufstehen und irgendwas zerstören. Aber ich habe mich gezwungen, weiterzuspielen – aus Respekt für meine Teammitglieder.” Nach der Partie beendet er die Übertragung. “Ich wollte einfach nichts mehr machen und habe nur noch mein Gesicht vergraben. Ich hatte gehofft, dass es nur ein Albtraum war und nicht real.”

100.000 US-Dollar für Teilnahme

Die Heroes of the Storm Global Championship, kurz HGC, war die eSport-Liga in Heroes of the Storm. Für die meisten Teilnehmer war Heroes of the Storm ihr täglich Brot – so auch für Ménè. Jedes Wochenende trat er mit seinem Team Fnatic in der europäischen Profiliga an und bereitete sich mehr als 40 Stunden pro Woche auf die Pflichtspiele vor – ähnlich wie im traditionellen Sport.

Ménè during the Mid-Season Brawl in June 2018Ménè during the Mid-Season Brawl in June 2018

Bildquelle: Blizzard

100.000 US-Dollar bekam jedes Team von Entwickler Blizzard für die bloße Teilnahme zu Beginn der Liga, zusätzlich zu den 420.000 US-Dollar Preisgeld pro Saison. Hinzu kamen regelmäßig internationale Turniere und monatliche Gehälter der Organisationen. Karrieren wie die von Ménè wurden erst möglich, da Blizzard so viel Geld in Heroes of the Storm investierte. Das schaffte allerdings eine gewisse Abhängigkeit. Wettbewerbe abseits vom Entwickler existieren zwar bis heute, versprechen aber nur einen Bruchteil der Preisgelder, die Blizzard ausschüttete. Das alles fällt nun weg.

“Der Sturm ist zu Ende”

Da Blizzard kein Geld mehr in die eSport-Szene von Heroes of the Storm investiert, ist vielen schnell klar, dass sich auch die professionellen Teams aus der Szene zurückziehen werden – und genau so kommt es auch.

“Nach Blizzards traurigen Nachrichten, dass die HGC ein Ende nimmt, verabschieden wir uns aufrichtig von der Heroes of the Storm-Szene”, schrieb die prestigeträchtige eSport-Organisation Fnatic rund eine Woche nach der Hiobsbotschaft. Zuvor verabschiedeten sich bereits bekannte Namen wie Method und Team Dignitas. Im Februar 2019 verschwand mit Team Liquid auch der letzte große Name aus der Szene.

Endzeit-Stimmung

Die Zuschauerzahlen von Heroes of the Storm wurden seit Monaten immer schlechter. Während die Weltmeisterschaft laut der Website Esports Charts über einen Zuschauerdurchschnitt von 60.000 zählte, lag dieser Wert bei der Weltmeisterschaft in League of Legends, einem direkten Konkurrenztitel, im selben Jahr bei 46 Millionen. Es herrschte also schon länger Ungewissheit in der Szene, wie Dennis “HasuObs” Schneider uns bestätigt.

Der 30-Jährige war Profi bei Team Liquid und kann auf eine langjährige Karriere zurückblicken. Er war unter anderem deutscher Meister in StarCraft II und WarCraft III, bevor er 2014 zu Heroes of the Storm wechselte. “Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das komplette Projekt eingestellt wird. Ich hatte mit Kürzungen gerechnet, vielleicht einer Verkleinerung der Liga von acht auf sechs Teams oder dem Wegfall von Offline-Turnieren”, erzählt HasuObs.

Doch dass Blizzard die gesamte Liga einstellen würde, daran glaubte keiner. Schon gar nicht mal eben so über Nacht. Einige Spieler erzählten uns sogar, dass Blizzard-Mitarbeiter ihnen versichert hätten, dass es die HGC auch 2019 wieder geben würde.

Markus “Blumbi” Hanke hatte ebenfalls ein schlechtes Gefühl. Der 25-Jährige spielte lange an der Seite von HasuObs, bevor er Ende 2017 Maus und Tastatur an den Nagel hängte und eine Karriere als Coach begann. “Ich konnte natürlich nicht wissen, dass das passiert. Aber in weiser Voraussicht habe ich Ende 2017 schon gemerkt, dass das Spiel nicht in die Richtung geht, die ich mir vorstelle.”

Keine Priorität

In der offiziellen Ankündigung erklärte Blizzard, dass man “mehr Games und unangekündigte Projekte denn je hat”. Deswegen wolle man die “talentierten Entwickler an andere Projekte setzen”. Zusätzlich habe das Unternehmen seine Pläne bezüglich Heroes of the Storm evaluiert. “Nachdem wir uns alle Prioritäten und Optionen im Hinblick auf die änderungen am Spiel angeschaut haben, wird die Heroes of the Storm Global Championship […] 2019 nicht zurückkehren”, schrieb der Entwickler. Zwei Monate später entließ das Unternehmen trotz eines vorangegangenen Rekordjahres rund 800 Mitarbeiter.

Auf Nachfrage von eSports.com, warum man sich entschieden hat, die eSport-Aktivitäten direkt vollständig einzustellen, anstatt nach einer Kompromisslösung zu suchen, verwies uns der Entwickler nur auf die Ankündigungsnews. Selbiges gilt für die Frage, warum man diesen Schritt den Teams und Spielern so kurzfristig mitgeteilt hat.

Laut Informationen von eSports.com wurden die Organisationen rund eine Woche vor der offiziellen Ankündigung von Blizzard benachrichtigt und explizit gebeten, die Spieler nicht zu informieren. Einige Organisationen entschieden sich dennoch, mit den Profis zu sprechen. Andere wurden vollkommen im Dunkeln gelassen. So schrieb HasuObs auf Twitter, dass er um 00:49 Uhr eine Mail zum Ende der HGC erhalten hatte. Sechs Minuten später folgte die offizielle Ankündigung seitens Blizzard, von der Ménè erst durch seine Zuschauer erfuhr.

Das Leben danach

Da Blumbi die negative Entwicklung schon ahnte, entschied er sich noch 2017 ein Studium aufzunehmen. “Emotional war es dennoch ein Schlag”, erinnert sich der Ex-Profi. Mittlerweile befindet er sich im zweiten Semester seines “Cognitive Science”-Studiums. Im eSport arbeitet er seit Dezember 2018 und damit seit Ende der HGC nicht mehr.

Für den Duisburger ist dies aber kein endgültiger Abschied. Die Fertigkeiten, die er sich momentan im Studium aneignet, will er in Zukunft im eSport anwenden. “Ich möchte in einer Schnittstelle zwischen eSport und Wissenschaft arbeiten. Ich möchte Hilfen für eSport-Organisationen entwickeln, die das Coaching erleichtern. Momentan fehlt es noch an Infrastruktur aber auch an Technologie.” Nach seinem Studium will er sich auf die Suche nach geeigneten Möglichkeiten machen.

Neue Chancen

Bei HasuObs und auch Ménè sieht es anders aus. Beide versuchen, sich irgendwie über Wasser zu halten und sind noch immer im eSport aktiv. Gemeinsam mit drei weiteren Spielern, die durch das Ende der offiziellen Liga ihr Team verloren hatten, gründeten sie die Organisation Washed up. Das Team nimmt regelmäßig an Turnieren teil, die von der Community gecrowdfunded werden.

Mit den ursprünglichen Preisgeldern können die Wettbewerbe allerdings nicht mithalten. 16.155 US-Dollar gibt es aktuell bei der Heroes Lounge Division S zu holen (Stand 03. April 2019) – ein Bruchteil der 420.000 US-Dollar, die Blizzard in der HGC ausschüttete.

Zusätzlich steht HasuObs noch immer bei Team Liquid unter Vertrag, wenn auch nicht als Profi-Spieler, sondern als Content Creator. “Team Liquid wurde ebenfalls von der Nachricht überrumpelt, man hat uns aber bestmöglich unterstützt. Einige meiner ehemaligen Kollegen, Nurok, Blumbi, und ich arbeiten weiterhin mit Liquid zusammen. Aktuell fokussiere ich mich aufs Streaming von Heroes of the Storm. Ob ich in absehbarer Zeit das Spiel wechsle, weiß ich allerdings noch nicht.”

Ménè zeigt sich offener. Auch er streamt in Vollzeit Heroes of the Storm für rund 300 Abonnenten. “Ich liebe euch alle”, merkt er in dem Interview an. “Es ist das einzige Einkommen, das ich momentan habe.”

Um im eSport zu bleiben, überlegt der Franzose sogar, das Spiel zu wechseln: “Ich werde wahrscheinlich versuchen, Apex Legends-Profi zu werden. […] Warum sollte ich es nicht probieren? Selbst wenn ich versage, habe ich es immerhin versucht und werde es nicht bereuen.” Das Risiko kann er eingehen. Denn wer nichts hat, kann auch nichts verlieren.

Bildquelle: Blizzard

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